Präsidialsystem in der Türkei
Hayır! Ja zur Demokratie – Das Präsidialsystem in der Türkei und Konflikte in Deutschland
Vortrag und Diskussion mit Hatip Dicle und Aslı Vatansever
Mittwoch, 17. Mai 2017, um 19 Uhr in Bremen
Kulturzentrum Kukoon, Buntentorsteinweg 29, 28201 Bremen
Am 16. April 2017 wird in der Türkei und unter den in Europa lebenden TürkInnen über eine schwer wiegende Verfassungsänderung abgestimmt. Unter dem Schlagwort Präsidialsystem will Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine weit reichende Erweiterung seiner Befugnisse und Machtmittel erreichen – inmitten einer innenpolitischen Situation, die bereits von Unterdrückung von freier Presse, politischer Opposition und ethnischen und anderen Minderheiten gekennzeichnet ist. Oppositionelle Stimmen sehen die Türkei bereits auf dem Weg in die Diktatur.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung will die Entwicklung in der Türkei im Rahmen einer bundesweiten Speakers Tour Hayır! Ja zur Demokratie – Das Präsidialsystem in der Türkei und Konflikte in Deutschland mit türkischen und kurdischen PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen – aus der Türkei und im Exil – im April und Mai 2017 beleuchten. In Bremen treffen wir uns einen Monat nach dem Referendum und analysieren die ersten Auswirkungen und Ursachen des Abstimmungsergebnisses.
Hatip Dicle, ist ein kurdischer Oppositionspolitiker, der seit den 1970er Jahren politisch aktiv ist. Er wurde 1991 als Abgeordneter ins türkische Parlament gewählt und 1994 inhaftiert. Er wurde 2004 freigelassen und dann 2009 erneut verhaftet. Noch in Haft wurde er 2011 erneut als Abgeordneter ins türkische Parlament gewählt, aber sein Mandat wurde ihm entzogen. 2014 kam er frei. Er wird über die politischen Entwicklungen in der Türkei unter der AKP-Regierung und das Vorgehen des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung sprechen.
Aslı Vatansever, Sozialwissenschaftlerin und Unterzeichnerin des Aufrufs „AkademikerInnen für den Frieden“. Wegen ihrer Unterschrift musste sie die Türkei verlassen und lebt derzeit in Deutschland. Sie wird über die Situation in den türkischen Hochschulen und das Leben der „AkademikerInnen für den Frieden“ im Exil sprechen.
Übersetzung Türkisch/Deutsch simultan: Oliver Kontny; Moderation: Ismail Küpeli und Norbert Schepers.
Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Initiative – Die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bremen. Der Flyer zur gesamten Rundreise als PDF zum Download: Flyer SpeakersTour Praesidialsystem Türkei 2017
Das Referendum zum Präsidialsystem in der Türkei begleiten wir im Vorfeld der Abstimmung am 16. April mit einer weiteren Veranstaltung in Bremen: Am Freitag, den 7. April 2017, sprechen wir mit Attila Steinberger über die Außenpolitik der AKP-Regierung am Beispiel Syriens, um 19 Uhr im Kommunikationszentrum Paradox.
Zum Hintergrund:
Das Referendum am 16. April 2017 in der Türkei über die Einführung des Präsidialsystems wird ein Wendepunkt in der türkischen Geschichte darstellen. So versucht zwar das Regierungslager zu relativieren, etwa in dem man darauf verweist, dass es in vielen Staaten weltweit Präsidialsysteme existieren, so etwa in den USA oder in Frankreich. Allerdings handelt es sich bei dem angestrebten Präsidialsystem in der Türkei nicht um ein demokratisches System wie etwa in den USA oder in Frankreich, sondern um eine Autokratie. Im türkischen Präsidialsystem soll weder eine Gewaltenteilung noch ein System von konkurrierenden Machtblöcken und Institutionen existieren, mit der eine Alleinherrschaft verhindert werden kann. Der Staatspräsident könnte ohne Einflussnahme von anderen Akteuren Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen. Damit ist die legislative Kompetenz des Parlaments ausgehebelt. Der Staatspräsident kann das Parlament zu jedem Zeitpunkt auflösen und ebenso freihändig den Ausnahmezustand ausrufen. Wie weit diese politischen Entscheidungen des Staatspräsidenten gehen können, lässt sich daran ablesen, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bereits ankündigt, die Todesstrafe einzuführen, sobald das Präsidialsystem umgesetzt sei.
Die Auseinandersetzungen um die Einführung des Präsidialsystems sind jedoch nicht etwas, was nichts mit den Ereignissen hier in Deutschland zu tun hat. Bei den letzten Wahlen im November 2015 hat die AKP in Deutschland 59,7 Prozent der Stimmen gewinnen können. Für die Verfassungsänderung und die Einführung des Präsidialsystems ist eine einfache Mehrheit von über 50 Prozent nötig. Umfragen zeigen, dass etwa 52 Prozent der Wähler zurzeit vorhaben, mit „Nein“ und somit gegen die Einführung des Präsidialsystems zu stimmen. Insofern könnten die Stimmen der Wahlberechtigten in Deutschland eine Schlüsselrolle spielen. Die AKP wird alles unternehmen, damit in der Wahlphase in Deutschland zwischen den 27. März und dem 9. April möglichst viele Ja-Stimmen in den Wahlurnen landen. Für die türkischstämmige Community in Deutschland bedeutet dies, dass der Wahlkampf um ihre Stimmen besonders intensiv sein dürfte. Auch die Gegner des Präsidialsystems kennen die Bedeutung der Stimmen hierzulande und werden versuchen, dem Nein-Lager zum Erfolg zu verhelfen. Auch die Auseinandersetzungen um die regierungskritischen Medien werden in Zukunft zunehmen.
Zum Thema:
Drohende Alleinherrschaft in der Türkei. Per Verfassungsreferendum soll die Bevölkerung die Demokratie abschaffen. Rosa-Luxemburg-Standpunkte 5/2017 von Ismail Küpeli.
Machterhalt um jeden Preis – Die AKP unter Erdoğan setzt in der Türkei weiterhin auf einen autoritären Kurs. Rosa-Luxemburg-Standpunkte 37/2016 von Ismail Küpeli.