Care – eine feministische Kritik der politischen Ökonomie? (DAS ARGUMENT 292)

Im Juli erscheint DAS ARGUMENT 292, eine Ausgabe der Frauenredaktion, Schwerpunktthema: Care – eine feministische Kritik der politischen Ökonomie?

Die Frauenredaktion des Argument sucht mit dem Thema ‘Care’ „eine Forschung einzuleiten, die sich um die Verschiebungen im Zueinander von industrieller und Dienstleistungs-Erwerbsarbeit und familialer Sorgearbeit kümmert, die, kurz gesprochen, untersucht, was nach dem Niedergang der Kleinfamilie mit ihrem Alleinernährer, also nach dem Ende des Fordismus, aus den gesellschaftlichen Arbeiten und ihren Akteurinnen wird und welche politischen Möglichkeiten sich eröffnen.“ (…)

„Care: Was erklärt der Terminus eigentlich? Hat sich seine Bedeutung verändert? Viele Autorinnen setzen ihn an die Stelle eingeführter Konzepte wie Reproduktion, Subsistenz- oder Haushaltsökonomie, Entwicklungsökonomie, soziale und gesundheitliche Versorgung, ökologisches oder nachhaltiges Wirtschaften, Tauschwirtschaft, Lebenswelt. Sie visieren ein weites Aufgabenfeld in einem breiten Verständnis von Ökonomie an:>‘Care’ umfasst den gesamten Bereich weiblich konnotierter, personenbezogener Fürsorge und Pflege, d.h. familialer und institutionalisierter Aufgaben der Versorgung, Erziehung und Betreuung und stellt sowohl eine auf asymmetrischen Beziehungen beruhende Praxisform als auch eine ethische Haltung dar  (Brückner 2010). Von den Aufgaben geht es zur Arbeit: Im Wesen ist Care-Arbeit eine fürsorgliche Tätigkeit, also die Sorge um und die Sorge für Personen  – unerheblich ob bezahlt oder unbezahlt.  Die Care-Ökonomie beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Gesellschaft die Sorge für ihre Mitglieder organisiert – also die alltägliche Versorgung aller  (Madörin 2009). ‘Care’ erscheint hier deckungsgleich mit der Ökonomie im Allgemeinen und bezeichnet das Versagen, unter den Bedingungen des wohlfahrtsstaatlich gezähmten Kapitalismus elementare menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Auf die globale Ebene übertragen steht ‘Care’ für den noch weiteren Anspruch, menschliches Wohlergehen zu sichern. Berührt sind also ökonomische Aktivität, Arbeitspraxen, soziale Organisation, Erfüllung allgemeinmenschlicher Bedürfnisse und damit auch ein anthropologischer Horizont. Begrifflich verstärkt wird diese Perspektive, wenn von ‘fürsorglicher Praxis’ (Senghaas-Knobloch), ‘Sorgen’ (Gerhard/Hausen) oder ‘interaktiver Achtsamkeit’ (Mol, Conradi) angesichts der Bedürftigkeit, Verletzlichkeiten oder dem Angewiesensein von Menschen gesprochen wird. (…) Im Hightech-Kapitalismus, der Frauen mehrheitlich über Erwerbsarbeit ‘integriert’ und gegenüber dem Fordismus neue, ja konträre Anforderungen in der Arbeitswelt hervorbringt, blüht die ‘Care’-Debatte. ‘Fürsorge’ kommt als Postulat in diesem Rahmen wieder auf, aber nicht als paternalistische Institution, sondern als Tätigkeitsform, die das Subjekt retten will und als demokratischer Gegen-Entwurf. Die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates hält nicht Schritt mit dem Wandel der Arbeitswelt und der Geschlechterverhältnisse, sondern stolpert in den Neoliberalismus, der unter anderem gekennzeichnet ist durch Privatisierung von Risiken, neuartige Verantwortungsdiskurse, Familie als Herstellungsleistung,  Re-Traditionalisierung von Geschlechterverhältnissen. Die anhaltende ‘Care’-Diskussion ist daher nicht anachronistisch, muss sich aber fragen lassen, ob sie hinreichend als kritische Theorie eingreift. Dafür ist dieses Heft ein Anfang.“
(Auszüge aus dem Editorial von Frigga Haug und Sabine Plonz)

Das Argument 292
Care – eine feministische Kritik der politischen Ökonomie?
53. Jahrgang der Zeitschrift DAS ARGUMENT. Heft 3/2011
ISSN 0004-1157

Inhalt:

Elfriede Jelinek: Um die goldene Gams
Christine Lehmann: Kein Soli für Sex!

Care – eine feministische Kritik der politischen Ökonomie?
Gabriele Winker: Soziale Reproduktion in der Krise – Care Revolution als Perspektive
Frigga Haug: Das Care-Syndrom. Ohne Geschichte hat die Frauenbewegung keine Perspektive
Sabine Plonz: Mehrwert und menschliches Maß. Zur ethischen Bedeutung der
feministisch-ökonomischen Care-Debatte
Iris Nowak: Fürsorgliche Praxis als prekäre Lohnarbeit. Fragen zu den
Erfahrungen der Beschäftigten
Silke Chorus: Care-Seiten in der politischen Ökonomie
Anna Hartmann: Die Unsichtbarkeit der unbezahlten Hausarbeit in Fordismus und Postfordismus
Stephanie Heck: Von Reproduktion zu Care – zentrale Verschiebung in der feministischen Ökonomie-Debatte?
Beate Friedrich: Gesellschaftliche Natur- und Geschlechterverhältnisse: Die Ansätze von Adelheid Biesecker/Sabine Hofmeister und Frigga Haug
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John Holloway: Zorn und Entzücken. Replik zu Joachim Hirsch
Moshe Zuckermann: Zur Notwendigkeit der Unterscheidung von Werk und Person.
Replik auf Ingrid Galsters Rezension der Autobiographie von Claude Lanzmann

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